Halbleiter werden die Nervenzellen unserer Autos
- Vorstandsmitglieder von Audi und Volkswagen über Halbleiter als wichtigen Innovationsbaustein im Automobil
- Stellvertretend für den Volkswagen Konzern richtet Audi den dritten Semiconductor Summit „Innovation needs Coopetition“ aus
- Entscheider aus der Halbleiterindustrie und aus dem Volkswagen Konzern arbeiten gemeinsam an der Zukunft der Mobilität
Halbleiter stecken nahezu überall in einem modernen Fahrzeug: von der Motorsteuerung über Assistenz- und Sicherheitssysteme wie etwa Abstandsradar oder dem ESP bis hin zum Infotainmentsystem. In einem Elektroauto von Audi oder Volkswagen sind heute bis zu 8.000 davon verbaut. Diese Chips sind unverzichtbar und ein wichtiger Innovationsbaustein in der Automobilindustrie. Die Zukunft der Mobilität gestaltet Audi gemeinsam im Verbund mit dem Volkswagen Konzern und Technologieführern aus der Mikroelektronikindustrie. Zu diesem Zweck hat das Unternehmen am 11. Juni den konzernweit dritten Halbleiter Gipfel mit dem Titel „Innovation needs Coopetition“ veranstaltet. Audi Beschaffungsvorständin Renate Vachenauer und Volkswagen Beschaffungsvorstand Dirk Große-Loheide zeigen im Interview auf, worum es bei Coopetition geht, ob die Halbleiterstrategie des Konzerns Erfolg hat und warum noch viel mehr für Europa als Standort für Automotive-Halbleiter getan werden muss.
Herr Große-Loheide, vor wenigen Monaten war Chip-Mangel in aller Munde. Haben Sie damit immer noch zu kämpfen und welche Rolle spielt die Autoindustrie für die Halbleiterbranche aktuell?
Dirk Große-Loheide: Nach der Corona-Pandemie mussten wir, wie im Übrigen nahezu alle Hersteller, mit einem großen Druck auf die bestehenden Lieferketten umgehen. Daraus haben wir gelernt und wichtige Rückschlüsse ziehen können. Inzwischen hat sich die Lage deutlich verbessert. Doch wir sind heute auch ganz anders aufgestellt: Wir haben eine Halbleiter-Beschaffungsstrategie erarbeitet. Unter anderem arbeiten wir viel enger mit den direkten Lieferanten und auch unmittelbar mit den Halbleiterherstellern zusammen. Beleg dafür sind die direkten Vertragsbeziehungen zu Chipherstellern – seit Beginn 2023 hat der Konzern über zehn Direktverträge mit Halbleiterherstellern abgeschlossen. Im direkten Austausch mit diesen werden die Bedarfsentwicklung und technischen Roadmaps eng abgestimmt. Wir sehen Sicherheitsbestände bei kritischen Bauteilen vor, um nur einige von zahlreichen Maßnahmen zu nennen, die unsere Krisenfestigkeit erhöhen. Gleichzeitig ist die Automobilindustrie inzwischen einer der am schnellsten wachsenden Märkte für Halbleiter. Aufgrund der rasant ansteigenden Digitalisierung und Elektrifizierung unserer Fahrzeuge verdreifacht sich der Umsatz an Halbleitern in der Dekade bis 2030 auf ca. 150 Mrd. US$. Ergo sind wir als strategischer Kunde für die Halbleiterindustrie ebenso von großer Bedeutung.
Warum der Titel „Innovation needs Coopetition“ des Semiconductor Summits und was heißt Coopetition genau, Frau Vachenauer?
Renate Vachenauer: „Coopetition“ ist das gut austarierte Gleichgewicht zwischen Wettbewerb und Kooperation. Darauf wollen wir auch im Bereich der Automotive-Halbleiter setzen. Denn Halbleiter werden die Nervenzellen unserer Autos. Wir gewährleisten Transparenz hinsichtlich unserer technischen und kommerziellen Leitplanken, zeigen unsere Technologiestrategie und nehmen eine viel stärkere Position entlang der Wertschöpfungskette ein. Unsere Tier-1- und Tier-2-Partner können sich auf unsere Anforderungen einstellen, in den Innovationswettbewerb einsteigen und über enge Partnerschaften Planungssicherheit bekommen. Es freut mich deshalb besonders, dass wir genau diese Top-Entscheider aus der Mikroelektronikindustrie bei uns in München zu Gast hatten, um unsere künftige Zusammenarbeit unter der Leitung des Volkswagen Konzerns auszugestalten. Hier sind wir mit unseren Partnern ein ganzes Stück weitergekommen.
Ab wann haben Audi oder Volkswagen Kundinnen und Kunden etwas von den angesprochenen Innovationen?
Renate Vachenauer: Wir können schon heute von Vorsprung durch Technik – Powered by Semiconductors sprechen. Solche Halbleiter sind ein entscheidendes Bauteil, um Autos– wie zum Beispiel unseren vollelektrischen Audi Q6 e-tron – einzigartig zu machen. Ein Highlight ist die zweite Generation unserer digitalen OLED-Technologie in den Heckleuchten. Damit sind wir zum ersten Mal in der Lage, mit anderen Verkehrsteilnehmenden zu kommunizieren, indem wir beispielsweise Warnsymbole in Gefahrensituationen anzeigen können. Für dieses Feature brauchen wir leistungsstarke Halbleiter. Auch in weiteren Bereichen wie E-Mobilität, Effizienz, Connectivity und Fahrerassistenz machen wir Vorsprung erlebbar. Da bringen wir für unsere Kundinnen und Kunden mit den anstehenden Modellanläufen noch viel mehr auf den Markt, um sie für ein holistisches Fahrerlebnis zu begeistern.
Ist Europa bei Mikroelektronik mit Blick auf die Bedürfnisse der Automobilindustrie und der Konkurrenz aus Asien überhaupt zukunftssicher aufgestellt, Herr Große-Loheide?
Dirk Große-Loheide: Viele wichtige Themen sind mittlerweile angestoßen und adressiert. So wurde unter anderem der EU Chips Act verabschiedet. Dennoch finden Innovationen weiter hauptsächlich außerhalb Europas statt. Das hat auch mit den Kostennachteilen für die Entwicklung und Produktion von Halbleitern in Europa zu tun. Folglich müssen wir größere Anstrengungen unternehmen und z. B. in die Forschung und Entwicklung von Halbleitern sowie in die Ausbildung und Qualifizierung von Fachkräften müssen wir noch mehr investieren. Gleichzeitig sehen wir die Vorteile der Globalisierung in Frage gestellt, wenn wir einen Blick auf die geopolitischen Risiken werfen. Darauf müssen wir – an erster Stelle natürlich die Politik – die richtigen Antworten finden. Denn auch wenn wir in verschiedenen Weltregionen, wie in China, auf stärkere Lokalisierung setzen, kann dies nicht die alleinige Lösung für die größer werdenden geopolitischen Herausforderungen sein.
Welche Vision wollen Sie gemeinsam mit Technologieführern der Halbleiterindustrie umsetzen?
Renate Vachenauer: Wir müssen es schaffen, im Wesentlichen auf drei Säulen zu bauen. Erstens gemeinsam mit der Mikroelektronikindustrie weiter an einer resilienten Lieferkette arbeiten. Dazu gehört unter anderem, dass wir als Autohersteller transparenter darüber sind, was wir brauchen. Gleichzeitig ist es entscheidend, dass Rücklagen bei wichtigen Halbleitern gebildet werden. Zweitens ist unser Ziel, die Profitabilität durch einheitliche Standards oder auch erhöhte Austauschbarkeit von verschiedenen Halbleitern untereinander zu steigern. Und drittens wollen wir natürlich Innovationen vorantreiben, indem wir übereinanderlegen, welche Roadmaps in beiden Industrien verfolgt werden.
Dirk Große-Loheide: Wie bei allen unseren Produkten bilden die Wünsche unserer Kundinnen und Kunden die Basis. Daher arbeiten wir entlang unserer Roadmaps für Kundenfunktionen und Innovationen, bei denen wir eng mit unseren Partnern kooperieren. Außerdem sind wir auf dem Weg zum Software-Defined Vehicle (SDV), also einer völlig neuen Herangehensweise des künftigen Produktentwicklungsprozesses. Das bedeutet für uns, wir schaffen mit unseren Partnern ein gemeinsames Verständnis für die zukünftigen Fahrzeug-Anforderungen und dies mündet in strategischen Kooperationen etwa für das Co-Design und Co-Development von Halbleitern. Unter dem Strich werden wir damit auch deutlich an Geschwindigkeit in der Entwicklung zulegen, davon bin ich überzeugt.