Entwicklung der Audi Power Unit für die Formel 1: „Bedeutende Meilensteine und Ziele erreicht“
- Adam Baker, CEO der Audi Formula Racing GmbH, und CTO Stefan Dreyer im Doppelinterview
- F1 Power Unit läuft als Einheit auf dem Prüfstand und hat bereits simulierte Renndistanzen zurückgelegt
- Entwicklung am Standort Neuburg mit 22 hochmodernen Prüfständen
Seit mehr als zwei Jahren laufen die Arbeiten an der Antriebseinheit für den Formel-1-Einstieg von Audi. Die eigens gegründete Audi Formula Racing GmbH (AFR) in Neuburg a. d. Donau ist für die Entwicklung des F1-Hybridantriebs („Power Unit“) verantwortlich und hat die Aufbauphase erfolgreich abgeschlossen. Gemeinsam mit dem Standort in Hinwil bildet die Mannschaft aus Neuburg das künftige Werksteam, mit dem Audi im Jahr 2026 in der Königsklasse an den Start geht. Die Audi F1 Power Unit „Made in Germany“ macht hinter verschlossenen Türen große Fortschritte. AFR-CEO Adam Baker und AFR-CTO Stefan Dreyer geben einen Einblick zum Stand der Dinge.
Am Standort Neuburg wird seit Frühjahr 2022 an der Entwicklung der Audi Power Unit für die Formel 1 gearbeitet. Was wurde bislang erreicht?
Baker: Nach nur zwei Jahren läuft unsere Power Unit, bestehend aus Verbrennungsmotor, E-Motor, Batterie und Steuerungselektronik, dynamisch auf dem Prüfstand. Die verschiedenen Komponenten erfolgreich zu einer Einheit zu verheiraten ist das Ergebnis von harter Arbeit und großem Teamwork. Die Audi Power Unit hat bereits simulierte Renndistanzen auf dem Prüfstand zurückgelegt. Wir haben 2023 viel Erprobungszeit mit den einzelnen Komponenten gesammelt und konnten die gewonnene Erfahrung parallel in die nächsten Baustufen einbringen. Bedeutende Meilensteine und Ziele wurden erreicht, was dem gesamten Team ein gutes Gefühl gibt.
Dreyer: Wir haben eine sehr ambitionierte Modernisierung und Erweiterung unseres Prüffelds umgesetzt. Heute verfügen wir über 22 hochmoderne Prüfstände am Standort. Unsere neuen Entwicklungstools sind State-of-the-Art und haben uns ermöglicht, eine steile Lernkurve hinzulegen. Durch die Erprobung am Prüfstand unter simulierten Rennbedingungen gewinnen wir wichtige Erkenntnisse in dieser Phase des Projekts. Nach den erfolgreichen Renndistanzen mit der Power Unit werden wir das in Kürze auch mit dem gesamten Antrieb, also der Kombination aus Power Unit und Getriebe, durchführen. Parallel dazu geben wir Vollgas bei der Performance-Entwicklung, um unsere selbst gesteckten Ziele zu erreichen.
Auf welchen Strecken ist die Audi Power Unit bereits gefahren?
Dreyer: Wir fahren die Power Unit mit verschiedenen Layouts aus dem aktuellen F1-Kalender auf dem Prüfstand, ganz abhängig vom jeweiligen Erprobungszweck. Beispielsweise ist Las Vegas für unser Entwicklungsteam im Hinblick auf das gesamthafte Energiemanagement interessant. Mehrere schnelle und langsame Kurven im Wechsel sowie eine fast zwei Kilometer lange Vollgasfahrt über den Las Vegas Strip bieten eine perfekte Entwicklungsumgebung, um den Verbrennungsmotor und die ERS-Komponenten (Energierückgewinnungssystem) aufeinander abzustimmen.
Baker: Die Audi Power Unit zu hören, wie sie heute schon simuliert auf Strecken wie Spielberg, Singapur oder Las Vegas fährt, erzeugt bei allen Beteiligten nicht nur Gänsehaut, sondern gibt uns auch das Gefühl, einen großen Schritt näher an unserem ersten Rennen im Jahr 2026 zu sein.
Wie hat sich die Entwicklungsabteilung für das herausfordernde Projekt aufgestellt?
Dreyer: Besonders wichtig war es, sich in allen Bereichen breit aufzustellen, eine gute Basis bei der Entwicklung der einzelnen Komponenten zu schaffen – Verbrennungsmotor, Elektromotor, Batterie, Steuerungselektronik, Software – um diese frühzeitig aufeinander abzustimmen. Dabei hat uns die Erfahrung aus früheren Motorsportprojekten mit Hochvolt-Technologie, Le Mans, Formel E, aber auch aus dem aktuellen Dakar-Projekt, sehr geholfen. Wir haben bereits in der Vergangenheit bewiesen, dass wir konventionelle, hybridisierte und rein elektrische Antriebe entwickeln können. Dennoch ist die Herausforderung in der Formel 1 noch einmal eine ganz andere in Bezug auf Spitzentechnologie und Wettbewerb. Das betrifft auch unsere Partner und Lieferanten – wir erleben hier ein sehr starkes Commitment von allen Seiten.Auch wenn der Aufbau in Neuburg abgeschlossen ist, nimmt die Intensität weiter zu?
Baker: Es gab seit Projektstart im Frühjahr 2022 fast jeden Monat besondere Meilensteine, zum Beispiel Baubeginn für unsere Infrastruktur-Erweiterung, Start des Testbetrieb für den Einzylinder, erster Prüfstandlauf des Elektro- und des V6-Motors oder die ersten Renndistanzen mit der kompletten Power Unit. Dass sich unsere gesamte Mannschaft dabei mit vollem Fokus auf die Entwicklung der Power Unit für 2026 konzentrieren kann, ist ein Vorteil für Audi. In der verbleibenden Zeit bis 2026 geht es darum, mit vollem Fokus unsere Entwicklungsziele in Bezug auf maximale Gesamtfahrzeug-Performance zu erreichen. Es bleibt bis zum ersten Rennen spannend – und natürlich auch danach.
Dreyer: Intensität ist ein gutes Stichwort für unsere Leistungsentwicklung. Das Reglement lässt zum Beispiel für Einzylinder-Tests insgesamt drei Prüfstände zu, die bei den Betriebszeiten von der FIA nicht beschränkt sind. Wir nutzen diese Maximalzahl am Standort für die Entwicklung der Brennverfahren der Verbrennungsmotoren so intensiv wie möglich. Bisher haben wir alle Ziele erreicht, die wir uns für Leistung und Effizienz in dieser Phase gesetzt haben. Dazu läuft unsere Kraftstoffentwicklung seit 2022 mit einem starkem Partner, der über langjährige Erfahrung in der Formel 1 verfügt. Ein wirklich entscheidender Faktor für unser Projekt, da der neue nachhaltige Kraftstoff für 2026 eine noch stärkere Wettbewerbsrelevanz haben wird.
Auch für die Entwicklung der Power Unit gilt seit diesem Jahr eine Kostenbeschränkung. Wie darf man sich das Tagesgeschäft unter dem Cost Cap des Weltverbandes FIA vorstellen?
Baker: Wie alle anderen Formel-1-Teams und Power-Unit-Hersteller standen auch wir vor der Herausforderung, uns dafür entsprechend aufzustellen. Es geht um Cost-Cap-Effizienz und Cost-Cap-Konformität. Ein Vorteil war, dass wir gewissermaßen auf einem weißen Blatt Papier beginnen konnten und deshalb für das Projekt ein eigenes Unternehmen, die Audi Formula Racing GmbH, gegründet haben. Wir hatten von Anfang an ein klares Bild für Strukturen, Systeme, Prozesse und das richtige Mindset. Das Thema Finanz hat durch den Cost Cap einen unmittelbaren Einfluss auf die Performance. Es gab in der Formel 1 also noch nie eine so direkte Verbindung zwischen operativer Effizienz und sportlichem Erfolg. Dass wir mit der PU-Entwicklung am Limit des Cost Caps operieren können, bringt uns auf Augenhöhe mit unseren Wettbewerbern.
Wie wichtig war es, am Standort Neuburg auf eine bereits bestehende Infrastruktur zurückgreifen zu können?
Dreyer: Die von Audi im Jahr 2014 für den Motorsport geschaffene Infrastruktur ist eine sehr gute Basis. Sie hat uns in die Lage versetzt, gleich im Jahr 2022 mit der Power-Unit-Entwicklung starten zu können. Um diese Infrastruktur auf den „use case“ Formel 1 anzupassen, haben wir parallel zu unseren Entwicklungsaktivitäten ein weiteres Gebäude für neue Prüfstände, hochmoderne Werkstätten und Labore gebaut. Das ermöglicht uns, mit Vollgas weiterzuentwickeln.Erstmals wird wieder eine F1 Power Unit in Deutschland entwickelt. War es schwierig, Mitarbeitende für den Standort Neuburg zu gewinnen?
Baker: Die örtliche Nähe zu unserer Mutter Audi in Ingolstadt ist in vielen Bereichen ein großer Vorteil für uns. In der Region gibt es viele technische Experten, insbesondere für die Entwicklung von Antriebskomponenten. Die anderen F1 Power-Unit-Hersteller sitzen in Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan. Wenn man Mitarbeitende von Wettbewerbern holen will, müssen sie in der Regel in ein anderes Land ziehen – das ist eine Herausforderung, die für uns aber nicht größer ist als für alle anderen. Die Leute müssen nicht nur bereit sein, den Arbeitgeber zu wechseln, sondern auch das Land. Dass wir beim Recruiting erfahrene Ingenieure und Techniker von allen anderen Power-Unit-Herstellern gewinnen konnten, zeigt, dass unser Projekt und der Standort attraktiv sind – auch für internationale Talente. Mittlerweile haben wir eine breite Mischung im Team mit Mitarbeitenden aus 23 Ländern.
Dreyer: Wir sind nicht nur international breit aufgestellt, sondern haben auch unsere bestehende Motorsport-Kompetenz von Audi Sport mit F1-Expertise von extern verstärkt. Das hat geholfen, unsere Lernkurve stark zu beschleunigen. Alle geben maximales Tempo für das Projekt und fiebern dem Einstieg in die Formel 1 entgegen. Die Motivation ist extrem hoch und wir spüren einen starken Teamgeist.
Können Sie einen Ausblick geben? An welchen Themen arbeiten Neuburg und Hinwil bereits gemeinsam?
Dreyer: Auf der technischen Seite arbeiten wir bereits standortübergreifend in einem echten Werksteam-Modus. Dabei steht die Integration der Power Unit mit wichtigen Details wie Thermomanagement im Fokus. Darüber hinaus gibt es auch beim Getriebe eine enge Zusammenarbeit. Die Innereien entwickeln wir in Neuburg, die strukturellen Teile wie Getriebegehäuse und Hinterachse entstehen in Hinwil. Die Antriebserprobung, bestehend aus Power Unit und Getriebe, läuft dann auf unserem Powertrain-Prüfstand. Diese Aufteilung ist aus Performance- und Kompetenzsicht zielführend.
Baker: Bereits im Januar 2023 haben wir zusammen mit dem 2026-Konzeptteam in Hinwil einen frühzeitigen Start hingelegt. Diese Arbeit intensiviert sich nun mit dem vorliegenden Chassis-Reglement. Unser Ziel ist klar: Die Vorteile und Möglichkeiten eines Werksteams bei Packaging und Integration der Power Unit voll auszuschöpfen.
Kurzbiografien
Adam Baker wurde 1974 in Australien geboren und ist seit 2018 deutscher Staatsbürger. Als Ingenieur hat er für verschiedene Hersteller und Teams in mehreren internationalen Rennserien gearbeitet. Er war zwischen 2002 und 2009 in der Formel 1 für drei Kundenteams und drei Werksteams tätig, zuletzt bei BMW als Leiter des Renn- und Testteams für den F1-Antrieb. Ab 2018 war Baker Sicherheitsdirektor beim Automobil-Weltverband FIA, ehe er 2021 von Audi mit der Aufgabe betraut wurde, das technische, strategische, operative und finanzielle Gesamtkonzept für den Einstieg von Audi in die Formel 1 aufzusetzen. Als Geschäftsführer der Audi Formula Racing GmbH ist er im F1-Projekt für den Standort Neuburg mit der dortigen Antriebsentwicklung verantwortlich.
Stefan Dreyer wurde 1973 in Stuttgart geboren und hat sein Maschinenbau-Studium mit einer Diplomarbeit bei Audi abgeschlossen. Das Herz des zweifachen Familienvaters schlug schon immer für den Motorsport. Er begann seine Karriere bei Audi Sport als Motoreningenieur in der Abteilung der Sport- und Sondermotoren in Ingolstadt und arbeitete sich bis zum Entwicklungschef aller Motorsport-Projekte nach oben. Als Mann der ersten Stunde war Dreyer in die frühen Planungen des F1-Projekts involviert. Unter seiner Federführung wurde das technische und sportliche Reglement mit dem Motorsport-Weltverband FIA verhandelt und damit ein zentraler Grundstein für den F1-Einstieg von Audi gelegt. Als CTO der Audi Formula Racing GmbH in Neuburg verantwortet er die technische Entwicklung der Power Unit von Audi.