„Win-win für beide Seiten. Und für die Menschlichkeit.“
- Seit 32 Jahren ist das Georgische Kammerorchester in Ingolstadt zu Hause: Wie alles begann – eine Geschichte der Hoffnung in dieser Zeit
- Dirigent Ariel Zuckermann und Geiger Alexander Konjaev erinnern sich
Vor 32 Jahren fand das Georgische Kammerorchester in Ingolstadt sein Exil. Im Kulturleben der Stadt ist es seither fest verankert. Bei den Audi Sommerkonzerten etwa ist es als Akteur nicht mehr wegzudenken. Auch in diesem Jahr tritt es bei einem Audi Klassik Open wieder vor Ort auf. Erinnerungen an die bewegte Geschichte des Orchesters werden dabei wieder lebendig. Es ist eine Geschichte der Hoffnung, wie zwei Musiker des Orchesters berichten.
Rückblick in das Jahr 1990. Nach dem Fall der Mauer und dem Ende des Kalten Krieges ist die Welt in Aufbruchstimmung. Auch die Kultur profitiert von der neu gewonnenen Freiheit: Das Georgische Kammerorchester, 1964 in Tbilisi, der Hauptstadt Georgiens, als „Georgisches Staatskammerorchester“ gegründet, freut sich an der neuen Reisefreiheit – und gastiert beim renommierten Schleswig-Holstein Musikfestival in Deutschlands Norden. Das versierte Streicherensemble musiziert mit Klassikgrößen wie Justus Frantz, dem Intendanten des Festivals, und mit den Dirigenten George Solti und Kurt Masur.
Doch das Festival, seit 1988 gesponsort von der Audi ArtExperience, wird überschattet: In der georgischen Heimat wachsen die politischen Spannungen vor dem Hintergrund des Zerfalls der ehemaligen Sowjetunion. Bei Audi in Ingolstadt ergreift man deshalb die Initiative. Das Unternehmen spricht den damaligen Ingolstädter Oberbürgermeister Peter Schnell an, und die Entscheidung ist rasch getroffen: Die Stadt bietet dem Orchester an, an der Donau Exil zu beziehen und nach Bayern überzusiedeln – und Audi unterstützt.
Eine neue sichere Heimat für die Georgier
„Das war eine Win-win-Situation für beide Seiten“, sagt der Flötist Ariel Zuckermann, der heute der künstlerische Leiter und Dirigent des Orchesters ist. „Ingolstadt hatte damals kein klassisches Orchester – und die Georgier hatten eine neue sichere Heimat. Sie erhielten einen Vertrag für zunächst zwei Jahre, und die ersten Ensemblemitglieder holten ihre Familien nach Bayern.“ Neben der AUDI AG waren auch die Stadt Ingolstadt und die örtliche Sparkasse Partner der Maßnahme. Und es wurde eine Erfolgsstory daraus: Die Auftritte der „Georgier“, insbesondere die seit 2001 durchgeführten Abonnementkonzerte, verzeichneten beständig hohe Besucherzahlen, und der Vertrag mit Audi und der Stadt wurde verlängert. Dass sich gleichzeitig die politischen Wirrnisse in der verlorenen Heimat verschärften – der Angriff Russlands auf Georgien im Jahr 2008, die Annexion der Krim 2014 und jetzt der furchtbare Überfall auf die Ukraine –, hat das osteuropäische Selbstbewusstsein der Musiker ebenso erschüttert wie gestärkt.
Einzigartiger Charakter – auch im Exil bewahrt
Aber, bei Licht betrachtet, ist das neue Leben in Bayern nichts anderes als eine Fortsetzung des alten unter anderen Bedingungen.
Denn Kontinuität ist ein Prinzip dieses Orchesters, das immer, auch im Exil, seinen Charakter bewahren konnte. Noch immer spielen viele Musiker aus Georgien und aus Osteuropa in dem Ensemble. Gerade eben haben sie mit einer Aufnahme des „Feuertanzes“ des aserbaidschanischen Komponisten Kara Karajev, dirigiert von Ariel Zuckermann, erneut gezeigt, wo das Herz der „Georgier“ schlägt. Auf Youtube ist ein bewegender Trailer dazu zu sehen.
Künstlerisch maßgeblich geprägt wurde das Orchester durch seine langjährige Leiterin, die Geigerin Liana Issakadze, sowie Dirigentenpersönlichkeiten wie Yehudi Menuhin und Kurt Masur. Von 2000 bis 2006 leitete Markus Poschner das Ensemble. Ihm folgte bis 2011 – und wieder ab 2021 – der in Israel geborene Ariel Zuckermann. Zwischenzeitlich standen der in Los Angeles geborene Benjamin Shwartz und der Armenier Ruben Gazarian am Pult. Eine Phalanx herausragender internationaler Künstlerpersönlichkeiten wie David Oistrach, Barbara Hendricks, Svjatoslav Richter oder Daniil Shafran sind genauso mit dem Ensemble aufgetreten wie Heinrich Schiff, Gidon Kremer, Edita Gruberova, Giora Feidman oder Christian Zacharias.
Kultureller Botschafter der Stadt Ingolstadt
Und vor Ort in Ingolstadt fühlt sich das „GKO“ nicht nur einem breiten Repertoire verantwortlich, vom Barock bis zur Moderne, sondern auch als kultureller Botschafter der Stadt. Rund 90 Konzerte im Jahr führen das Orchester regelmäßig auch zu Musikfestivals, im Inland wie im Ausland. Und bei den Audi Sommerkonzerten, der beliebten Veranstaltungsreihe der Audi ArtExperience, ist das Ensemble seit Jahren fester Bestandteil. In seiner enormen Vielseitigkeit erzählt das Orchester seine Geschichte immer wieder neu und bereichert so die Musiklandschaft Ingolstadts auf ganz individuelle Weise.
Rund 20 Mitglieder – plus Gastmusiker_innen – hat das „GKO“ heute. Und es ist multinational, mit Deutschen, Spaniern, Franzosen, Asiaten – aber auch immer noch mit einem Kern georgischer Künstler_innen. „Da ist eine Leidenschaft, die immer noch da ist“, sagt Dirigent Zuckermann. „Temperament, Virtuosität, Wärme, Energie – das sind die Eigenschaften, die mein Orchester kennzeichnen. Das alles spielen kann, vom Barock über die Klassik und Romantik bis hin zur Moderne, ja sogar bis zur Weltmusik und zum Jazz.“ Sein Stimmführer zweite Geige Alexander Konjaev, seit 2004 beim GKO und mit deutschstämmigen Wurzeln in Georgien aufgewachsen, attestiert: „Es ist diese besondere Spielfreude, die uns auszeichnet. Und die Leidenschaft für das großartige osteuropäische Klangerbe. Ich habe damit eines meiner ganz persönlichen Highlights erlebt, bei einem Auftritt in der Hamburger Elbphilharmonie im März 2018. Im Rahmen des ,Kaukasus Festivals‘ waren wir das erste Kammerorchester, das in diesem wunderschönem Saal gespielt hat.“