Ulrich Baretzky: „Die Fans werden sich freuen, wie ein Vierzylinder klingen kann“
- Der Leiter der Motorenentwicklung über den neuen DTM-Turbomotor
- Kompakte Maße, geringes Gewicht und faszinierender Sound
- Extrem niedriger spezifischer Verbrauch trotz hoher Motorleistung
Ulrich Baretzky, Leiter Entwicklung Motor bei Audi Motorsport, ist überzeugt, dass der neue Vierzylinder-Turbomotor für die DTM der richtige Schritt ist.
Warum betreibt Audi weiter Motorsport mit Verbrennungsmotoren?
Der Verbrennungsmotor hat noch eine lange Zukunft und ergänzt die Elektromobilität sehr gut. Wir beschäftigen uns bei Audi schon immer mit Hocheffizienz-Motoren – zuletzt jahrelang mit dem Diesel, jetzt wieder mit dem Benziner. Es gibt noch viele Möglichkeiten der Weiterentwicklung. Auch in Verbindung mit alternativen Kraftstoffen kann man einen Verbrennungsmotor extrem umweltfreundlich darstellen.
Was versteht man unter einem „Hocheffizienz-Motor“?
Es geht darum, mit hoher Verdichtung und sehr guten Wirkungsgraden das Maximum an Leistung aus dem zur Verfügung stehenden Kraftstoff herauszuholen – in der Serie genauso wie im Motorsport. In der DTM ist die Kraftstoffmenge, die zum Motor fließt, auf 95 Kilogramm pro Stunde begrenzt. Das hört sich nach sehr viel an, ist in Anbetracht der Leistung von über 610 PS aber nicht wirklich viel. Eine gesteigerte Fahrzeugperformance erhält man nur über den Weg der Effizienz. Und je effizienter der Motor ist, desto weniger Kraftstoff und damit Gewicht muss man mitschleppen.
Zweiliter-Vierzylinder-Turbomotoren, wie sie ab 2019 in der DTM zum Einsatz kommen, gelten derzeit als wichtigste Verbrennungsmotoren weltweit. Weshalb?
Es geht um das Gesamtpaket und um das Thema Gewicht: Gewicht erzeugt Verbrauch, deshalb muss man Gewicht einsparen. Um einen Motor klein und leistungsfähig zu halten, führt am Vierzylinder kein Weg vorbei. Er passt sowohl längs als auch quer in fast alle gängigen Modelle des Audi- und Volkswagen-Konzerns und ist daher weit verbreitet. Er ist der zentrale Motor – ein Weltmotor.
Die DTM ist sehr lange mit V8-Saugmotoren gefahren. War der Schritt zum Vierzylinder-Turbo richtig?
Der Schritt war überfällig. Den ersten Anlauf haben wir bereits vor mehr als zehn Jahren gemacht. Damals entstand das Konzept des Global Race Engine. Dieser Vierzylinder-Turbo wäre weltweit in vielen Rennserien einsetzbar gewesen. Das ist in Bezug auf Leistung, Gewicht und Abmessungen auch beim neuen DTM-Motor der Fall.
Seit wann beschäftigt sich Audi Motorsport mit dem neuen DTM-Motor?
Die ersten Überlegungen und ein Grundkonzept gab es 2008. Richtig intensiv beschäftigen wir uns mit dem Motor seit Dezember 2014. Damals wurden die Weichen für eine gemeinsame Zukunft der DTM und der japanischen Super GT gestellt.
Auch in der Rallycross-Weltmeisterschaft kam ein Zweiliter-Vierzylinder-Turbo zum Einsatz. Sind die Motoren vergleichbar?
Nein. Der Rallycross-Motor war weder ein Direkteinspritzer noch ein reinrassiger Rennmotor. Er war absolut serienbasiert mit einer begrenzten Laufleistung von 300 bis 400 Kilometer. Der neue DTM-Motor ist ein reinrassiger Rennmotor, der bis zur ersten Revision über 6.000 Kilometer halten soll – und danach idealerweise noch einmal so lange.
Audi hat im Motorsport viel Erfahrung mit Turbomotoren. Schon der Ur-quattro in der Rallye-Weltmeisterschaft war ein Turbo. Ist dieses Know-how hilfreich?
Natürlich ist jeder Motor anders, und jedes Reglement hat andere Herausforderungen. Aber man kann sich eine Menge Fehler und die eine oder andere Schleife ersparen, wenn man das Grundprinzip kennt.
Wie intensiv ist beim neuen DTM-Turbo der Austausch zwischen Motorsport und Serie, der Audi traditionell sehr wichtig ist?
Natürlich haben die Kollegen aus der Serie ein paar andere Anforderungen. Aber das Thema Effizienz spielt auch dort eine große Rolle, ebenso das Gewicht. Der DTM-Motor ist mit 85 Kilogramm sehr leicht, erheblich leichter als ein Serienmotor. Wir zeigen ein paar Wege auf, die in Zukunft hoffentlich auch den Weg auf die Straße finden – so wie beim ersten TFSI für Le Mans und dem TDI.
Woran denken Sie dabei speziell?
Gewicht und Leichtbau, gerade unter dem Aspekt der CO2-Vermeidung. Und das Thema Verbrauch. Der DTM-Motor hat einen extrem niedrigen spezifischen Verbrauch, der sich inzwischen in Regionen bewegt, wo sie früher typischerweise bei Dieselmotoren waren.
Verlief die Entwicklung des neuen DTM-Motors reibungslos?
Der Vierzylinder-Motor ist per se kein einfacher Motor. Er ist vor allem sehr schwingungsintensiv. Man muss Dinge, die bei anderen Motoren jahrzehntelang vom Prinzip her problemlos funktioniert haben, neu denken. Da gab es einige Sorgenfalten, aber wir haben das mit viel Mühe und Arbeit in den Griff bekommen.
Warum ist die Abstimmung eines Turbomotors komplexer als die eines Saugmotors?
Man hat mehr Stellschrauben, zum Beispiel Ladedruck, Ladelufttemperatur und Anpassung an die jeweilige Umgebung. Es ist nicht schwieriger, aber aufwendiger, das Maximum aus dem Motor herauszuholen. Der Motor ist auch relativ hoch verdichtet und dadurch klopfempfindlicher.
Erstmals gibt es in der DTM auch eine Push-to-Pass-Funktion. Welchen Einfluss hatte diese Funktion auf die Entwicklung?
Der Motor wurde ursprünglich auf eine Leistung von rund 600 PS ausgelegt. Jetzt kommen für eine bestimmte Zeit noch einmal 30 PS drauf. Das erhöht die Gesamtbelastung massiv, auch wenn es nur für begrenzte Zeit ist.
Worauf dürfen sich die Fahrer freuen?
Der Fahrer ist per se immer nur an Leistung und Drehmoment interessiert. Davon hat der Motor reichlich. Ihnen ist aber auch sofort aufgefallen, dass der Turbomotor etwas anders zu fahren ist als ein Saugmotor und sich das Auto aufgrund des niedrigeren Fahrzeuggewichts agiler verhält. Und der Motor ist sehr spontan, er dreht schnell hoch bis 9.500 Umdrehungen. Ich kann mir gut vorstellen, dass so etwas Spaß macht.
Werden die Fans auch Spaß haben?
Die Fans werden sich darüber freuen, wie ein Vierzylinder klingen kann, und die Achtzylindermotoren nicht vermissen. Gleich beim ersten Test in Estoril war ich beeindruckt, wie gut und aggressiv der Turbomotor klingt. Das wird ein absolutes Spektakel.
Der neue DTM-Motor verfügt über ein Anti Lag System (ALS). Was versteht man darunter?
Das ALS hilft, das Turboloch zu beseitigen. In der Schubphase, also wenn der Fahrer zum Beispiel auf eine Kurve zufährt und bremst, wird der Turbolader künstlich auf Drehzahl gehalten. Wenn der Fahrer nach der Kurve wieder aufs Gas geht, hat er sofort Ladedruck.