Hinter den Kulissen:
die Entstehung des Audi-Lenkrads
- Vom 3D-Druck zur Serienreife – vier bis fünf Jahre Entwicklungsarbeit
- Audi-spezifische Kriterien für Ergonomie, Design und Haptik
- Funktionsanalyse als entscheidender Teil des Prozesses
Innovationsfreude und Hang zum Detail zeichnen die Arbeit der Lenkrad-Expert_innen bei Audi aus. Von der Auslegung der Geometrie und der Auswahl der Materialien über den ersten Prototypen bis hin zum Dauertest und der Serienproduktion vergehen vier bis fünf Jahre. Einblicke in die Entwicklung einer neuen Steuerrad-Generation von Audi.
„Die Evolution des Lenkrads schreitet rasant voran. Innerhalb von drei Jahrzehnten wurde aus einem lederummantelten Stahlgerippe eine Hightech-Kommandozentrale mit höchsten Design- und Qualitätsansprüchen“, sagt Marcel Bruch, zuständig für die Lenkrad-Entwicklung bei Audi. „In den vergangenen elf Jahren haben wir vier Lenkrad-Generationen mit deutlich mehr als 200 Varianten für die Audi-Baureihen auf den Markt gebracht.“
Von der Funktionsliste zum Basisdesign
Aus diversen, zunächst konkurrierenden Design-Entwürfen und Package-Anforderungen entsteht die nächste Generation eines Audi-Volants. Die Anordnung aller Funktionen ist dabei eine der größten Herausforderungen. „Bei aller Funktionsvielfalt dürfen wir das Lenkrad auf keinen Fall überfrachten, sondern müssen Autofahrer_innen eine intuitive Bedienung ermöglichen, sodass sie sich ganz auf den Verkehr konzentrieren können“, sagt Marcel Bruch. „Die Bedien- und Komfortfunktionen eines Lenkrads werden für jedes Modell spezifisch definiert. Im neuen Q4 e-tron sind es bis zu 18 Funktionen. Das ist eine große Herausforderung.“
Zuerst wird eine Übersicht über alle notwendigen Funktionen erstellt, bevor im zweiten Schritt zusammengehörige Funktionen geclustert werden. Anschließend gilt es, die Cluster grob zu verorten und gemeinsam mit dem Design geeignete Bedienelemente festzulegen. Erst danach fällt die Entscheidung zur Bedienphilosophie – Touch versus haptische Elemente. „Das Resultat ist ein Basisdesign mit modell- und ausstattungsspezifischen Modifikationen“, sagt Marcel Bruch. „So unterscheidet sich das Serienlenkrad von den optionalen Varianten hinsichtlich Bezug, Ausführung des Kranzes, Dekorblenden, Farben, Applikationen und technischen Funktionen.“ Allein für den Q4 e-tron gibt es 16 unterschiedliche Lenkradvarianten. Neu für den kompakten Elektro-SUV ist der optional oben und unten abgeflachte Lenkradkranz. Das Design ist nicht nur sehr sportlich, sondern besonders angepasst an die neue Displaygeometrie und es erleichtert den Ein- und Ausstieg ins Fahrzeug. „Wir bewegen uns permanent in einem Spannungsfeld von Design und Ergonomie. Das Steuerrad soll ja handlich bleiben und definierte ergonomische Anforderungen erfüllen“, erläutert Marcel Bruch. „Hier gilt es, frühzeitig in der Entwicklung die besten Lösungen zu finden.“
Ergonomie-, Design- und Sicherheitskriterien
- Grundsätzlich gelten in der Lenkrad-Entwicklung bei Audi verschiedene Grundsätze.
- Kranzgeometrie und -zentrum sind so klein und kompakt wie möglich auszulegen.
- Beim Lenkraddurchmesser hat sich das Maß von 375 Millimetern etabliert.
- Die ovale Auslegung des Kranzquerschnitts entspricht einer natürlich geschlossenen Handinnenkontur. Der Durchmesser des Kranzes liegt bei circa 30 bis 36 Millimetern.
- Innenliegende Funktionen müssen mit dem Daumen bedient werden können, ohne dass die Fahraufgabe beeinträchtigt wird.
- Sportliches Design steht im Fokus. Die Speichen sind vergleichsweise schlank.
- Oberflächen und Spaltmaße müssen den hohen Ansprüchen von Audi an Premiumqualität erfüllen.
Als Teil des Fahrerrückhaltesystems müssen bei der Lenkrad-Entwicklung mehr als 35 Gesetze und Richtlinien berücksichtigt werden, die sich teilweise landesspezifisch überschneiden. Diese beinhalten unter anderem Vorgaben zu Insassenschutz und Crashverhalten, Brennbarkeit sowie Formgestaltung, Materialität und Assistenzsystemen. Bei Audi sind alle Lenkräder weltweit gleich ausgelegt. Einzig für den Fahrerairbag gibt es länderspezifische Abweichungen aufgrund unterschiedlicher Crashanforderungen.
Seit 1993 gehört der Fahrerairbag zur Serienausstattung bei Audi – ein Meilenstein in der passiven Fahrzeugsicherheit. „Die Einführung des Lenkrad-Airbags hat Designer und Entwickler vor große Herausforderungen gestellt, weil der Pralltopf nicht zu groß werden sollte“, sagt Marcel Bruch. „Aber auch hier haben sich die Technik und Fertigungsverfahren deutlich weiterentwickelt und sind immer platzsparender geworden.“ Bei einem Fahrzeugaufprall muss das Lenkrad enorme Beanspruchungen aushalten, ohne dass es zu Brüchen des Lenkradkranzes oder anderer Bauteile, wie der Blenden, kommt. Überprüft wird dies im Rahmen von Festigkeits- und Crashversuchen. Im Speziellen sind dies Knie-Eindringversuche oder auch sogenannte Bodyblockversuche, bei denen Crashkörper mit einer Geschwindigkeit von bis zu 26 km/h in unterschiedlichen Positionen auf das Lenkradskelett auftreffen. So werden hoch beanspruchte Stellen lokalisiert und gezielt Rippenstrukturen und Wandstärken optimiert.
Fühl mal!
Auch die Haptik spielt eine wichtige Rolle bei Audi. Alle Lenkräder mit Hands-on-detection und/oder Lenkradheizung sind zweimal unterschäumt und bieten damit eine sehr gute Oberflächenqualität und griffige Haptik. Dieser Anspruch findet Anwendung bis ins kleinste Detail und jedes Bedienelement. Fahrer_innen spüren dies beispielsweise durch hochpräzise Dreh-/Drückvorgänge oder den Audi-spezifischen Klick an den Lenkradtasten.
Bei der Auswahl der Materialien setzt Audi auf drei Kriterien: hochwertig, strapazierfähig und langlebig. Alle eingesetzten Lederarten fallen als Nebenprodukt der Nahrungsmittelerzeugung an, sind chromfrei gegerbt, atmungsaktiv und durchgefärbt. Im Labor werden unter anderem die Abriebfestigkeit, die Lichtechtheit, das Schrumpfverhalten, die Biegefestigkeit, die Zugkraftfestigkeit, die Innenraumemissionen und das Brennverhalten getestet.
„Darüber hinaus setzen wir in Zukunft auch das Microfaser-Material Dinamica als Lenkradbezug ein“, sagt Marcel Bruch. „Dinamica sieht aus wie Veloursleder und fühlt sich auch so an, besteht jedoch zu großen Teilen aus recyceltem Polyester, das etwa aus Textilien und PET-Flaschen stammt.“
Erprobung und Serienreife
Ein erster Meilenstein sind die frühen 1:1-Prototypen. Hierbei handelt es sich um 3D-gedruckte Bauteile, bei denen das Leder manuell auf den Kranz aufgezogen, mit Kleber fixiert und anschließend wie in der Serienproduktion handvernäht wird. Auf Basis dieser Erstexemplare erfolgt die Weiterentwicklung und Finalisierung. „Ein neues Lenkraddesign richtig und endgültig zu beurteilen, geht aber erst auf der Straße. Die Erprobung erfolgt in Vorserienfahrzeugen im Dauerlauf“, erzählt Marcel Bruch. An Bord: Wenig- und Vielfahrer_innen, Frauen und Männer, jüngere und ältere, große und kleine Menschen, sportliche und eher verhaltene Fahrer_innen – alle ausgewiesene Audi-Expert_innen, die das Fahrzeug unter sämtlichen kundenrelevanten Gesichtspunkten testen und bewerten. Sie geben während der Entwicklung wertvollen Input, um bestmögliche Funktionalität und Ergonomie zu gewährleisten. Wie fühlt sich das Lenkrad beim Fahren an? Ist der Lenkradkranz zu dick oder zu dünn? Gibt es Konturen, die beim Berühren stören? Wie wird die Gesamtergonomie des Lenkrads beurteilt? Ist die Bedienung intuitiv? Funktioniert die Hands-on-detection fehlerfrei? Das alles wird in verschiedenen Verkehrssituationen und Umgebungen erprobt – in urbanen Ballungszentren, auf Landstraßen und Autobahnen. Dafür sind etwa 600 Vorserienfahrzeuge etwa ein halbes Jahr im Einsatz – 700.000 Fahrstunden, 35 Millionen Kilometer. „So können wir sicherstellen, dass auch unsere Lenkräder die höchsten Qualitätsansprüche und Sicherheitsstandards erfüllen,“ sagt Marcel Bruch.