„Design muss Emotionen wecken“
- Audi-Exterieurchef Philipp Römers und Interieurleiter Norbert Weber im Interview
- Paradigmenwechsel bei der Gestaltung: „Von innen nach außen“
- Digitaler Designprozess: Zusammenarbeit von Kreativen auf drei Kontinenten
Das Audi Design startet mit einem neuen Führungsduo für Exterieur- und Interieurdesign in die Zukunft: Norbert Weber ist seit Oktober 2020 Leiter des Innenraumdesigns, Philipp Römers seit März dieses Jahres Exterieurchef. Gemeinsam mit Chefdesigner Marc Lichte wollen die beiden die Ausrichtung der Premiummarke prägen. Eine große Herausforderung, angesichts des technologischen Umbruchs durch Elektromobilität, Digitalisierung und automatisiertes Fahren. Nach den ersten Monaten stellen sie sich erstmals gemeinsam im Interview.
Herr Weber, Herr Römers, Sie sind neu in Ihren Funktionen, aber nicht neu bei Audi. Was verbindet Sie mit den vier Ringen?
Philipp Römers: Ich bin seit 2014 bei Audi und habe in dieser Zeit eines der Exterieur-Designstudios geleitet. Sieben Jahre mit vielen großartigen Projekten und meinem ganz persönlichen Highlight: dem Audi e-tron GT.
Norbert Weber: Bei mir ist es das zweite Mal. Ich war zwischen 2007 und 2015 bereits bei Audi, habe hier das Interieurdesign und das Designstudio in Beijing geleitet. Viele bekannte Gesichter, viele neue – ein super Team, das mich hier im Designcenter in Ingolstadt empfangen hat.
Im Audi Design arbeiten insgesamt 450 kreative Menschen aus 25 Ländern zusammen. Greifen Sie als leitende Designer selbst noch zum Zeichenbrett?
Weber: Ich spiele ab und zu noch die Tasten der Orgel, aber ich ziehe meistens die Register. So sehe ich meine Rolle als leitender Kreativer: Ich gebe den Teams die Stoßrichtung vor und orchestriere das Zusammenspiel. Ich bin also derjenige, der motiviert und ermutigt, im Einzelfall auch modifiziert. Manchmal sehen wir uns ein fast fertiges Modell an – sei es aus Clay oder in Form von VR-Daten – und stellen fest, dass irgendetwas noch nicht stimmig ist. Wenn das passiert, greife ich auch schon mal zum Stift und skizziere ein paar Einzelheiten zu dem jeweiligen Element. Meist reichen einige schnelle schwarze Linien auf weißem Grund und ich komme zur Lösung. Die größte Herausforderung ist immer, mit dem Zeichnen wieder aufzuhören, wenn man erst einmal damit angefangen hat.
Römers: Das ist bei mir genauso. Als Designer kann ich mir die Arbeit ohne Stift gar nicht vorstellen. Im Büro und zu Hause liegen überall Skizzenbücher herum. Die hole ich dann bei Besprechungen heraus, damit auch ich ein Bild, ein Gefühl für das jeweilige Projekt bekomme. Das bedeutet aber nicht, dass das am Ende genauso aussieht. Es ist eine grobe Richtung, die im nächsten Schritt durch kreativere und wesentlich detailreichere Entwürfe abgelöst wird. Dafür haben wir bei Audi Top-Entwurfsdesigner_innen an Bord. Zusammenfassend kann man sagen: Design ist immer Teamarbeit.
Begeisterndes Design ist für viele Menschen ein entscheidendes Kaufargument. Gilt das heute eher für das Exterieur oder für das Interieur?
Römers: Das Allererste, womit Interessierte in Kontakt kommen, ist nach wie vor das Exterieur. Es muss Begehrlichkeit wecken. Schließlich ist der erste Eindruck von einem Fahrzeug entscheidend dafür, ob jemand stehen bleibt oder einfach weitergeht, am Bildschirm heranzoomt oder schnell weiterklickt. Im Idealfall verbinden sich ästhetische Form und Funktion. Gerade in der Elektromobilität brauchen wir zum Beispiel strömungsgünstige Silhouetten, die dazu beitragen, die Reichweite zu erhöhen. Die können hochattraktiv aussehen, wie der e-tron GT zeigt.
Weber: Das Ziel, mit Design Emotionen zu wecken, geht dann nahtlos ins Interieur über. Die Gestaltung des Innenraums entwickelt sich dabei gerade mehr und mehr zum Schlüsselelement bei der Kaufentscheidung. Was bietet mir mein Auto an digitalen Möglichkeiten? Welche konkreten Vorteile liefert die Vernetzung? An Fragen wie diesen entscheidet sich, was das Interesse weckt.
Heißt das: Das Interieur entwickelt sich zum neuen Kraftzentrum des gesamten Automobils?
Weber: Zweifellos rückt der Innenraum durch die Digitalisierung und vor allem das automatisierte Fahren ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Wir wollen unsere Modelle künftig von innen nach außen gestalten. Dennoch sehen wir den Designprozess als Ganzes: Ideen werden gemeinsam geboren und Probleme gemeinsam gelöst. Das sorgt am Ende des Tages für ein stimmiges Gesamtergebnis.
Römers: Dieses Grundverständnis ist uns ganz wichtig: Früher haben wir in der Regel zuerst die Außenhaut gestaltet und dann geschaut, ob das Interieur und die Passagiere gut reinpassen. Das automatisierte Fahren sorgt hier für einen Paradigmenwechsel: Wenn die eigentliche Fahraufgabe wegfällt, entstehen neue Möglichkeiten.
Welche Folgen hat dieses Umdenken für Ihre Arbeit?
Weber: Das Wichtigste ist und bleibt die Kreativität. Doch auch im eigentlichen Designprozess nutzen wir die Möglichkeiten der Digitalisierung. Dadurch sind wir in den vergangenen Jahren viel schneller geworden, weil wir parallel in der physischen und in der digitalen Welt arbeiten können.
Heute können wir schon aus einfachen Skizzen Datenmodelle erstellen und sie dank spezieller Computer mit enormer Rechenleistung sofort in 3D-Grafiken umsetzen. Den fertigen digitalen Datensatz rechnen wir zu einem VR-Modell, das der Wahrnehmung des tatsächlichen Sehens verblüffend nahekommt. Im virtuellen Meeting mit VR-Brillen arbeiten wir dann in Echtzeit daran – ganz gleich, ob jemand im Designcenter in Ingolstadt sitzt oder in unseren Studios in Malibu oder in Beijing. Wenn zum Beispiel dort neue Entwürfe entstehen, können wir sie in Ingolstadt über Nacht fräsen. Denn eines ist wichtig: Digitale Werkzeuge machen uns deutlich schneller und besser, können aber nicht komplett das physische Modell ersetzen. Es gibt Dinge, die man am Computer einfach nicht sieht, sondern erst in der Realität.
Kurzbiografien
Philipp Römers, Jahrgang 1979, hatte seinen ersten Kontakt zum Automobildesign schon als Schüler – während eines Praktikums im Designstudio von Ford. Er studierte Transportation Design an der Hochschule Pforzheim und war Stipendiat der Volkswagen AG. 2005 startete er seine Karriere in Wolfsburg als Exterieurdesigner und arbeitete an diversen Showcars und Serienmodellen wie dem Golf 7 und dem Passat B8 mit. 2014 wechselte der gebürtige Kölner zusammen mit Marc Lichte, dem heutigen Chefdesigner von Audi, zur Audi AG und leitete zunächst ein Team von Exterieurexpert_innen. Unter seiner Verantwortung entstanden Serienmodelle wie der Audi A3, A6 und Q8 sowie Konzeptfahrzeuge wie der Prologue und der AI:CON. Zuletzt definierte Römers mit dem Audi e-tron und dem e-tron GT die Zukunft der Elektrifizierung von Audi mit. Seit Anfang des Jahres leitet er das weltweite Exterieurdesign mit 170 Mitarbeiter_innen im Unternehmen.
Norbert Weber, Jahrgang 1961, der in den 1980er-Jahren in Kiel und im ArtCenter College of Design in Vevey Design studierte, ist als Autodesigner in seinem Traumberuf tätig. Ab 1991 war er in unterschiedlichen Projekten leitend als Exterieur- und Interieurdesigner bei Mercedes-Benz beschäftigt. Ab 2007 leitete Weber bei der Audi AG das Designcenter für Interieur und Color & Trim in Ingolstadt, ehe er ab 2012 für Projektsteuerung und das Designstudio Beijing verantwortlich war. Nach fünf Jahren bei Škoda kehrte Weber 2020 an seine alte Wirkungsstätte zurück. In der Position als Leiter für Interieurdesign bei Audi führt er aktuell ein Team von 160 Designer_innen und Ingenieur_innen. Für Weber ist das Interieur im Audi TT aus dem Jahre 2014 sein persönlicher Meilenstein.