Von der Idee zum Serieneinsatz: das Audi Production Lab

Viele der neuen Technologien, mit denen Audi seine Produktion fit für die Zukunft macht, entstehen unter Mithilfe des Audi Production Lab. Das kleine Team aus kreativen Köpfen fungiert als Schnittstelle zwischen Innovation und Serieneinsatz, zwischen Ideen‑ und Strukturkultur.

Das Audi Production Lab – kurz P‑Lab – zählt derzeit nur fünf feste Mitarbeiter; eine Reihe Schreibtische und ein externer Werkstattbereich genügen dem Team, das erst seit vier Jahren existiert. Trotzdem hat es bereits entscheidend dazu beigetragen, wichtige Innovationen bei Audi in Richtung Serieneinsatz zu bringen: etwa den 3D‑Druck, die Mensch‑Roboter-Kooperation, die Fahrerlosen Transportsysteme oder den Einsatz von Augmented Reality.

Zudem greift das Audi Production Lab unterstützend ein, etwa wenn ein Mitarbeiter eine gute Idee hat, diese aber innerhalb seiner eigenen Abteilung nicht weiterverfolgen kann. Es versteht sich damit als Inkubator für neue Produktionstechnologien, sofern diese mehrere Fachbereiche einbinden und dem ganzen Unternehmen zugutekommen. Sehr oft kann das P‑Lab das fehlende Puzzlestück liefern – sei es die Vernetzung über Abteilungen hinweg oder mit externen Partnern, sei es die Projektleitung oder Unterstützung in Form eines Budgets, um aus einer Idee eine gewinnbringende Innovation zu machen.

Anfassen, ausprobieren, diskutieren, verbessern – immer ohne Angst davor, Fehler zu machen. Das Audi Production Lab pflegt die offene, spontane Arbeitskultur eines Start‑ups. Zu dieser Arbeitskultur gehören auch gewisse Freiheiten innerhalb der Audi‑Organisation. Falls beispielsweise eine Datenbrille nur mit dem allerneuesten PC‑Betriebssystem läuft, kann das P‑Lab dieses System als Insellösung installieren.

Wenn die neue Produktionsidee in den Chefetagen grünes Licht bekommen hat, verlässt sie das Audi Production Lab. Ihr weiterer Weg in den Serieneinsatz verläuft in der Fachabteilung – oft in einem Technikum oder als Vorentwicklungsprojekt. Je nach Thema, vorhandenen Strukturen und beteiligten Personen erfolgt die Übergabe zu unterschiedlichen Zeitpunkten und auf unterschiedliche Weise, in vielen Fällen läuft sie schrittweise ab. Jede dieser neuen Technologien bringt die Audi‑Produktion einen wichtigen Schritt weiter auf dem Weg in die Zukunft.


Big Data: Schmierstoff und Rohstoff für Audi

Daten sind der Schmierstoff in jedem Unternehmen – und ein wichtiger Rohstoff für die Produktion der Zukunft. Je sinnvoller sie miteinander verknüpft, aufbereitet und ausgewertet werden, desto wertvoller sind sie. Mit Big Data kann Audi seine Mitarbeiter entlasten, Prozesse effizienter gestalten, Fehler vorhersehen oder ganz vermeiden. Das Audi Production Lab liefert zwei Fallbeispiele.

Die Menschen und Maschinen in der Audi‑Produktion erzeugen immense Datenmengen – mit rasch steigender Tendenz. In diesen stecken zahlreiche wertvolle Informationen und Zusammenhänge, die es zu entdecken und auszuwerten gilt. Denn sie bergen großen Mehrwert für die Produktion – auf der technischen und wirtschaftlichen Ebene, für die Mitarbeiter und Kunden.

Im Allgemeinen beschreibt Big Data:

  • die strategische Anerkennung von Daten als Ressource mit eigenem Wert,
  • die operative Anerkennung von Daten als eigenes Betriebsmittel,
  • die aktive und konsequente Nutzung aller anfallenden Produkt‑ und Prozessdaten,
  • die Anbindung, Verknüpfung und Korrelation verschiedenster Datentöpfe sowie
  • eine Veränderung in der Unternehmenskultur, -organisation und in den Fachbereichsprozessen.

Für die Audi Smart Factory bedeutet Big Data in Summe den Wandel hin zur datengetriebenen und damit hochflexiblen und zugleich hocheffizienten Fertigung – zum sogenannten Data Driven Business.


Big‑Data‑Fallbeispiel 1: die Schrauberdaten‑Analyse
Ob Fahrwerk, Motor oder Innenraum – in jedem Audi stecken im Schnitt mehr als 1.000 drehmomentüberwachte Schrauben; allein im Werk Ingolstadt werden jedes Jahr etwa 500 Millionen solcher Verschraubungen durchgeführt. Ein kleiner Prozentsatz von ihnen gelingt nicht auf Anhieb, beispielsweise wenn Schrauben Späne im Gewinde haben. Wirklich kritisch ist das jedoch nicht: Denn die Druckluft‑ oder Elektroschrauber von Audi messen permanent ihren Drehwinkel und das Drehmoment. Überschreiten diese Werte die für den jeweiligen Schraubfall vorgegebene Grenze, schaltet das Gerät automatisch ab. Das geschieht meist innerhalb von zwei Sekunden nach Beginn des Vorgangs.

So viel Zeit ist dafür aber gar nicht nötig, das haben die Mitarbeiter des Audi Production Labs jetzt festgestellt. Dafür haben sie anonymisierte Verschraubungsdaten ausgewertet, die zuvor über Wochen hinweg aufgezeichnet worden waren. Das Ergebnis: Bereits nach 0,3 Sekunden lässt sich ein Fehler mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersagen. Wenn der Schrauber unmittelbar danach abschaltet, gewinnt der Mitarbeiter Zeit und hat für den nächsten Anlauf mehr Ruhe.

Die neue Schrauberdaten‑Analyse ist in der Audi A3‑/Q2‑Montage bereits im Einsatz; die AUDI AG erzielt mit ihr am Standort Ingolstadt schon heute eine immense Effizienzsteigerung und rollt die Methodik nun über alle Werke aus. Im nächsten Schritt geht es darum, das Auswertungsspektrum zu erweitern und zu klären, ob sich die Methodik auch auf andere Betriebsmittel übertragen lässt.


Big‑Data-Fallbeispiel 2: das Projekt „CKD‑Tool internationale Logistik“
Zahlenkolonnen sind schwierig zu lesen und zu verstehen - hingegen ist es jeder Mensch von klein auf gewöhnt, Bildinformationen rasch zu begreifen und abzuspeichern. Diesem Grundgedanken folgt das Projekt „CKD‑Tool internationale Logistik“ (CKD = Completely Knocked Down) im Audi Production Lab. Sein Ziel ist es, den Fluss der Teile in der Logistik durch eine neue und leicht fassbare, bildhafte Darstellung der Daten zu verbessern.

Bei den weltweiten CKD‑Werken von Audi handelt es sich um Auftragsfertigungen in Übersee, in denen Autos aus Teilesätzen – vormontierten Baugruppen – gefertigt werden. Diese gelangen vom Lieferanten über einen sogenannten Konsolidierungspunkt und einen Verpackungsstandort (VPS) zum Ziel. Wollen die Logistiker diese Warenströme analysieren und auf Optimierungspotenziale überprüfen, müssen sie sich bislang durch umfangreiche Excel‑Tabellen arbeiten.

Das neue Tool, das auf einem bereits bestehenden Werkzeug basiert, setzt stattdessen auf andere Prinzipien: die intelligente Vernetzung bisher getrennter Datenbestände und ihre grafische Umsetzung in Formen und Farben. Mit einem Mausklick kann der Benutzer auf dem Rechner so Zusammenhänge im Warenfluss erkennen, die vorher nicht ersichtlich waren. Je einfacher die Darstellung, desto prägnanter und verständlicher ist sie.

Eine dieser neuen Visualisierungsebenen ist eine Landkarte, auf der die Lieferanten eingezeichnet sind. Je nachdem, welchen Verpackungsstandort sie bedienen, sind sie farbig unterschiedlich markiert – Orange steht zum Beispiel für Ingolstadt, Blau für Duisburg und Violett für Wunstorf bei Hannover. Schon ein Blick auf die Karte hat gezeigt, dass es im südlichen Hessen in einem Umkreis von 20 Kilometern mehrere Lieferanten gab, von denen jeder einen anderen VPS belieferte. Ihre Frachtrouten wurden daraufhin zusammengelegt: Damit spart Audi viel Zeit und Kosten – und reduziert zudem CO2 und Lärm.

Ob es um die Planung der Lkw‑Routen oder um die gleichmäßige Auslastung der Konsolidierungszentren über die Woche hinweg geht – das „CKD‑Tool internationale Logistik“ bringt großen Mehrwert. Es besitzt das Potenzial, die Transportkosten um einen hohen sechsstelligen Betrag zu verringern. Der Prototyp hat im Audi Production Lab bereits Serienreife erlangt.


Assisted, augmented, virtual: Audi setzt auf Datenbrillen

In der Smart Factory von morgen unterstützen Datenbrillen gezielt die Mitarbeiter in der Produktion, die Planer und Ingenieure. Die Marke mit den Vier Ringen liegt auf dem Technikfeld der Datenbrillen ganz vorn. Das Audi Production Lab erprobt derzeit Brillentechnologien für Assisted Reality, für Augmented Reality und für Virtual Reality. Ihre Einsatzgebiete und Reifegrade unterscheiden sich stark voneinander – jedoch birgt jede Technologie immenses Potenzial.


Assisted Reality: Piloteinsatz in der Motorenmontage
Die Produktion der Zukunft wird noch komplexer, die Verantwortung des einzelnen Mitarbeiters am Band steigt. Vor diesem Hintergrund gewinnen Datenbrillen, die den Mitarbeiter bei der Arbeit unterstützen, immer mehr an Bedeutung. Im ungarischen Motorenwerk Győr erprobt Audi derzeit eine Datenbrille von Google: die Google Glass. Sie setzt das Unternehmen im Bereich der Montage Originalteile ein. Dort werden alle Motoren nach Kundenwunsch von Hand aufgebaut. Die Komplexität ist immens: Der Herstellungsprozess dauert mehrere Stunden; manche Regale in der Motorenfertigung bergen bis zu 200 Fächer für Kleinteile. Viele dieser Teile sehen sich sehr ähnlich.

Die Datenbrille schafft hier Abhilfe. Mit seinem Werkausweis und einem QR‑Code meldet sich der Fertigungsmitarbeiter an einem Arbeitsplatz an, anschließend bezieht die Google Glass den individuellen Bauauftrag von einem Auftragsserver. In Form einer Bild‑Text‑Darstellung werden die für die jeweilige Motorvariante individuellen Montageschritte über dem rechten Auge dargestellt. Per Sprache oder über den berührungssensitiven Rahmen der Datenbrille kann der Mitarbeiter die Arbeitsschritte durchgehen und bestätigen oder gegebenenfalls Detailinformationen wie zum Beispiel ein Trainingsvideo abrufen. Wenn der Monteur vor dem Regal steht, sieht er außerdem, wie viele Teile von welcher Seriennummer er aus welchem Fach nehmen muss. Der Mitarbeiter sieht diese Informationen jedoch nur, wenn er nach oben schaut - andernfalls bleibt sein Blickfeld frei.

Die Google Glass ist ein alltagstaugliches „Wearable“ – sie ist robust und optisch unauffällig. Ihre technische Komplexität ähnelt der eines Smartphones: Sie integriert Prozessor, Speicher, Mikrofon, Lautsprecher, Kamera, Funkmodul und Akku in einem leichten Bügel. Damit ist sie für einige Stunden einsatzbereit und kann darüber hinaus für Acht‑Stunden‑Schichten mit einem externen Akku erweitert werden. Eine Wissenschaftlerin begleitet den Pilotversuch in Győr und ermittelt anonymisierte Daten. Diese vergleicht sie mit Daten aus der bisherigen, monitorbasierten Assistenz: Spart die Brille unnötige Wege ein? Verkürzt sie die Montagezeit? Wie sicher läuft die Bedienung ab? Fühlen sich die Mitarbeiter damit wohl?


Augmented Reality: Fusion von Realität und Simulation
Bei Augmented Reality (AR) verschmilzt die echte Umwelt mit Daten aus dem Rechner. Das Audi Production Lab arbeitet hier mit einer speziell dafür konzipierten, völlig neuartigen Brille: der HoloLens von Microsoft. Ihr Träger sieht durch sie hindurch weiterhin die reale Umwelt, kann diese aber durch virtuelle Darstellungen als Hologramme ergänzen – beispielsweise durch einen Schweißroboter aus dem Karosseriebau.

Die HoloLens integriert die Rechenleistung eines Tablets samt Akku; optisch ähnelt sie einem Helmvisier mit einem Tragering, der den Kopf umschließt. Der Träger steuert sie per Spracheingabe und mit Fingergesten. Genau auf das Ohr gerichtete Lautsprecher spielen zudem Klangeffekte ein.

Die AR‑Brille von Microsoft nutzt mehrere Kameras und 3D‑Sensoren, um den Raum, in dem sich ihr Träger aufhält, permanent auszumessen. In die Umgebungskarte, die daraus entsteht, baut sie das jeweilige Hologramm am gewünschten Ort ein – und dort bleibt es, egal wohin sich der Mensch bewegt. Das Hologramm erscheint auf speziellen Displays im Visier, für jedes Auge leicht versetzt. So entsteht die räumliche Tiefenwirkung.

Das zeigt, was mit der HoloLens möglich ist: Wenn die Brille mit entsprechenden 3D‑Modellen gefüttert wird, lässt sich damit sogar eine ganze Karosseriebauanlage planen. Der Nutzer kann beliebig viele virtuelle Roboter einblenden und so platzieren, dass ihre Bewegungs-und Greifräume nicht miteinander kollidieren. Mehrere Experten können das Vorgehen gleichzeitig mitverfolgen, bewerten und gegebenenfalls verändern.

Auch bei der Zusammenarbeit über Standorte hinweg erschließt die HoloLens neue Potenziale. Tritt beispielsweise eine Störung an einer Anlage auf, können Mitarbeiter mithilfe der Brille Bilder und Daten zu einem helfenden Experten in einem anderen Werk schicken. Schritt für Schritt können sie so gemeinsam die Ursache identifizieren und die Störung beheben.


Virtual Reality: volle Einbindung in die Simulation
Beim dritten Datenbrillenprojekt des Audi Production Lab handelt es sich um eine Virtual‑Reality‑Anwendung (VR), die den Benutzer voll in die dargestellte Szenerie integriert. Wie in der Gamer‑Welt ist das technische Herzstück eine handelsübliche VR‑Brille vom Typ HTC Vive. Zwei im Raum platzierte Trackingstationen kommunizieren mit Sensoren an der Brille und den Hand‑Controllern. Dadurch erkennt das System die Bewegungen des Nutzers und passt seine Darstellungen praktisch verzögerungsfrei an. Dafür ist die VR‑Brille an einen leistungsfähigen Laptop angeschlossen, den der Benutzer in einem Rucksack mit sich trägt. Das vermeidet störende Kabel. Mehrere Nutzer können gleichzeitig und gemeinsam die virtuelle Welt erleben.


In der Datenwelt ist es den Audi‑Mitarbeitern künftig möglich, sich an jeden beliebigen Ort zu begeben – beispielsweise in eine virtuelle Werkstatt, in der sich das Cockpit eines Audi Q2 im Maßstab 1:1 befindet. Hier treffen sie sich, um schon in der Konstruktionsphase mögliche Probleme bei der späteren Montage des Infotainment‑Hauptsteuergeräts im Ablagekasten zu identifizieren.

Mit den Hand‑Controllern führen die Mitarbeiter verschiedene Aktionen aus: Sie bewegen das Infotainment‑Hauptsteuergerät oder bringen Markierungen an; sie überführen beliebige Arbeitsschnitte in die dreidimensionale Simulation. Wenn sie beispielsweise durch die Cockpitfront schneiden, legen sie das Hauptsteuergerät frei; weiter hinten sind Teile der Klimaanlage und des Beifahrerairbags zu erkennen, allesamt in technischen Farben dargestellt.

Produktabsicherung, Fabrik- und Prozessplanung, Mitarbeitertraining – für all diese Einsatzgebiete hält die VR‑Technologie interessante Lösungen bereit. Zudem macht sie Meetings im virtuellen Raum möglich: Werkplaner und Anlagenbauer können sich so über Kontinente hinweg innerhalb kürzester Zeit in einer Fabrik treffen, die vielleicht noch gar nicht existiert. In der 3D‑Simulation werden komplexe Zusammenhänge fassbar und leicht verständlich, das erlaubt ein sicheres Urteil.

Audi startet gerade die ersten Piloteinsätze der Datenbrillen. Danach soll ihr Einsatz sukzessive ausgeweitet werden. Schon bald werden die ersten standortübergreifenden VR‑Meetings stattfinden. Im Audi Production Lab denkt man sogar noch einen Schritt weiter: In Zukunft sollen zudem die Gesichter der Teilnehmer in der Simulation zu sehen sein. Denn auch im digitalen Zeitalter gilt: Ein Blick sagt oft mehr als tausend Worte.