Transformation in der Technischen Entwicklung: „Wir müssen kontinuierlich entwickeln und unsere Prozesse und Denkweisen darauf ausrichten.“
- Neuer Ansatz: Fortlaufendes Entwickeln statt Denken in Zyklen
- Neue Ausrichtung: Flexible Matrixorganisation statt starrer Hierarchien
- Neue Berufsbilder: Transformation von innen heraus, mit umfassenden Qualifizierungsmaßnahmen
Die Technische Entwicklung (TE) bei Audi erlebt die Transformation des Unternehmens besonders intensiv. Jan Michel, Chief Transition Architect in der TE über Ziele, Arbeitsweisen – und ein neues Verständnis von Führung.
Ausstieg aus der Verbrennertechnik, neue digitale Geschäftsmodelle und ein neuer gesellschaftlicher Blick auf die Mobilität. Audi erlebt zurzeit eine tiefgreifende Transformation. Was bedeutet das für die Technische Entwicklung?
Unsere Arbeit wird noch komplexer. In den vergangenen Jahrzehnten war unser Geschäftsmodell relativ einfach: Wir haben Fahrzeuge verkauft. Nun müssen wir eine übergeordnete Ebene mitdenken, das Mobilitätssystem. Wir müssen über Ladeerlebnisse und -möglichkeiten nachdenken, über digitale Ökosysteme und über die nahtlose Softwareintegration in unseren Fahrzeugen. All das hat Implikationen für die Technische Entwicklung.
Welche Implikationen sind das?
Wir brauchen auf der einen Seite neue Vernetzungstechnologien, die neue Geschäftsmodelle ermöglichen. Auf der anderen Seite müssen wir die wachsende Komplexität in der Entwicklung und Produktion beherrschen. In der Vergangenheit haben wir auf Zeitpunkte hingearbeitet, den Produktionsstart, den Marktstart, die Modellpflege. Nun muss unsere Entwicklung kontinuierlich angelegt sein. Unsere Prozesse, unsere Qualifikationen und – ganz wichtig – unsere Denkweisen müssen darauf ausgerichtet sein.
Also weg vom klassischen Denken in Zyklen, hin zum kontinuierlichen Entwickeln. Was sind dabei für Sie die inhaltlichen Schwerpunkte?
Wir dürfen uns nicht auf einzelne Bereiche fokussieren, wir müssen ganzheitlich denken. Die Entscheidung, ab 2026 nur noch elektrisch betriebene Fahrzeuge auf den Weltmarkt zu bringen, gibt uns Planungssicherheit. Bis dahin werden wir noch einmal unsere besten Verbrenner entwickeln, gleichzeitig die notwendigen Strukturen für die Zukunft schaffen, damit wir uns ab 2026 voll auf Batterietechnologien und Level-4-Fahren konzentrieren können. Diese Klarheit, nicht nur im Projektmanagement und in der finanziellen Planung, sondern vor allem in der Ausrichtung unserer Kompetenzen, gibt uns die Chance, frühzeitig auf die Zukunft hinzuarbeiten und klare Perpektiven aufzuzeigen. Inhaltlich sind wir dabei selbstverständlich eng mit der Unternehmensstrategie verzahnt, egal ob es nun um unsere zukünftigen Elektrofahrzeuge, digitale Ökosysteme oder unsere Aktivitäten für ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit geht.
Wie stellen Sie die Technische Entwicklung konkret um?
Wir greifen direkt an unserem Kernprozess an, nämlich dem Produktentstehungsprozess, und ändern unsere Methodik. Im Mittelpunkt steht das Systems Engineering, mit dem ganz neue Prozesse und Arbeitsweisen einhergehen, weg von funktionalen Silos, die gerade in der Automobilbranche über die letzten Jahrzehnte den Industriestandard geprägt haben.
Klingt wie ein Paradigmenwechsel. Was genau bedeutet das für die Strukturen und das Mindset in der Technischen Entwicklung?
Wir denken nicht mehr sequenziell in Beschaffung, Entwicklung, Produktion oder Vertrieb. Wir müssen, auch wenn das Auto auf dem Markt ist, weiter an der Software arbeiten, die Sensorik weiterentwickeln, die Updatefähigkeit gerade auch im Interieur gewährleisten. Diese Aufgaben sind zu komplex, um weiterhin in funktionalen Silos zu arbeiten. Deshalb vernetzen wir uns in einer Matrixorganisation und arbeiten über alle funktionalen Bereiche hinweg zusammen. Zudem bekommen wir es mit neuen Technologien und Technologiesprüngen zu tun, ob nun mit der Feststoffbatterie oder mit neuen autonomen Level-4-Fahrfunktionen. Wir begeben uns also in Technologiefelder, die weit entfernt sind von dem, was wir bislang gemacht haben.
Mit den neuen Prozessen und Technologien kommen auch auf die Belegschaft große Veränderungen zu. Mit welchen Maßnahmen qualifizieren Sie Mitarbeitende für neue Aufgaben und Berufsbilder?
Zunächst einmal brauchen wir dafür eine gute und interaktive Kommunikation. Wir kommunizieren sehr intensiv mit allen Mitarbeitenden. Mit vielen neuen Formaten, um sie mitzunehmen und den Wandel von innen heraus zu stärken. Wir müssen klarmachen, welche Kompetenzen für welche Aufgaben und Berufsfelder benötigt werden. Dass wir uns dabei nicht mehr ausschließlich im mechanischen, sondern sehr stark im digitalen Bereich bewegen, von Big Data bis zur Cyber Security, versteht sich von selbst.
Nicht alle dieser Kompetenzen dürften im Unternehmen bereits vorhanden sein. Wie rüsten Sie sich für die digitaler werdende Zukunft?
Dafür setzen wir zurzeit eine Vielzahl an Qualifikationsmaßnahmen auf, zum Beispiel im Bereich des Autonomen Fahrens. Auch bieten wir Mitarbeitenden in Zusammenarbeit mit Hochschulen die Möglichkeit, innerhalb von einem halben Jahr eine Art „Mini-Master“ zu absolvieren. In Kooperation mit der Technischen Hochschule Ingolstadt schulen wir unsere Mitarbeiter_innen beispielsweise in den Themen Elektromobilität und Hochvoltbatterie. So können sie benötigte Fähigkeiten erlernen und sich mit einer Vielzahl externer Experten vernetzen. Grundsätzlich müssen wir Anreize bieten, ohne Angst zu schüren.
Und was tun Sie, um den Mitarbeitenden im Wandel Sicherheit und Perspektiven zu geben?
Wir müssen die Maßnahmen so attraktiv gestalten, dass unsere Mitarbeitenden darin eine persönliche Perspektive erkennen. Das bedeutet auch: Wir müssen uns als Unternehmen ein Stück weit öffnen, was unsere Arbeitskultur angeht. Deshalb arbeiten wir an unserer Haltung, unserer Identität, unserer Zusammenarbeit und unserer Führung. Wir haben ein klares Zielbild für die Technische Entwicklung. Was mich sehr positiv stimmt: Nach meiner Wahrnehmung sind viele Kolleg_innen in der TE hochmotiviert und wollen gemeinsam neues erreichen.
Was stimmt Sie so positiv? Haben Sie dafür ein Beispiel?
Vor kurzem hatten wir eine Veranstaltung zu Kulturinitiativen in der TE, an der mehr als 2000 Mitarbeitende teilgenommen haben. Wir haben also ein großes Potenzial und eine große Leidenschaft in unserer Belegschaft. Um beides zu nutzen, brauchen wir nicht nur rationale Argumente, sondern auch viel Empathie.
Was meinen Sie damit konkret?
Wir haben uns in der Führung ein Wertesystem gegeben, das wir vorleben. Unser Ziel war, dass unsere Leute unsere Werte verstehen, ohne dass wir sie immer wieder neu verkünden müssen – ganz einfach, weil sie sie in unserem täglichen Umgang miteinander erleben. Dabei spielt zum Beispiel Offenheit eine große Rolle. Wir sprechen auch unangenehme Dinge offen an, diskutieren sie gemeinsam und bringen sie zu einem guten Ende. Wir wollen gemeinsam handeln, wir brauchen Zusammenhalt und weniger interne Konkurrenz. Und wir wollen Lernbereitschaft zeigen. Wir wollen bei uns selbst anfangen, wenn wir Veränderungen fördern wollen, ohne dabei auf Anweisungen von anderen zu warten. Wenn wir Werte wie diese jeden Tag gut transportieren können, dann werden wir ein starkes Team hinter uns haben. Ein sehr hungriges Team, das gleichzeitig extrem bodenständig ist, das sich kämpferisch an die Sache macht, mit einem Selbstbewusstsein, das niemals in Arroganz umschlägt.