Rallyeweltmeister Stig Blomqvist:
„Der RS e-tron GT versprüht quattro Feeling durch und durch“
- Zwei Weltmeister von 1984 und 2017 tauschen die Cockpits
- Was den legendären Audi Sport quattro S1 mit dem RS e-tron GT verbindet
- Lässt sich Emotionalität auch ins Elektrozeitalter transferieren?
Beide sind Spitzensportler: Der Schwede Stig Blomqvist schrieb mit dem Audi Sport quattro S1 in den 1980er-Jahren Rallyegeschichte. Eine Epoche, die den Mythos des damals revolutionären Antriebskonzepts von Audi begründete. Lucas di Grassi war für Audi der erfolgreichste Fahrer in der Geschichte der Formel-E-Meisterschaft. In San Remo tauschten die beiden nun das Cockpit. Blomqvist stieg in den Audi RS e-tron GT und di Grassi in den Audi Sport quattro S1. Die beiden Rennfahrer blicken im Gespräch zurück auf goldene Zeiten des Rallyesports und diskutieren die elektrifizierte Gegenwart.
Lucas di Grassi: Stig, du bist in den 1980er-Jahren die Rallye San Remo im legendären Audi Sport quattro S1 gefahren. Wie hat dir nun die Performance des Audi RS e-tron GT auf dieser Strecke gefallen?
Stig Blomqvist: Bei der Rallye San Remo kenne ich wirklich jeden Zentimeter, eine fantastische Strecke – geprägt von engen Bergstraßen, die einer Achterbahn gleichkommen. Der Audi RS e-tron GT ist mit über einer Tonne natürlich deutlich schwerer als der S1 und hat einen längeren Radstand. Allerdings geht er dank Allradlenkung und sehr tiefem Schwerpunkt doch recht leichtfüßig um die Ecke. Dank des quattro Antriebs kündigt sich der Grenzbereich höflich an und stellt den_die Fahrer_in nicht vor unlösbare Aufgaben. Eines ist klar: Der S1 ist als Rallyefahrzeug konzipiert worden, der RS e-tron GT ist ein Serienfahrzeug – doch beide Autos nehmen sich auf der Strecke erstaunlich wenig, bedenkt man ihre Grundkonzepte. Wie kamst du denn mit dem S1 klar, Lucas?
Lucas di Grassi: Ich würde es so ausdrücken: Der RS e-tron GT ist für „jedermann“, der S1 eher was für Profis. Das Auto wirkt mit seinem opulenten Flügelwerk ja von außen schon extrem. Aber das Fahren ist eine ganz besondere Herausforderung! Während der RS e-tron GT für den_die Fahrer_in leicht bedien- und beherrschbar und über Software individualisierbar ist, ist der S1 eine rein analoge Fahrmaschine und verlangt dem_die Piloten_in alles ab. Kupplung und Bremspedal brauchen extremen Druck und beim Schalten wuchtet man die Gänge knackig und kurz durch die Kulisse. Apropos Schalten, hat dir das im RS e-tron GT gefehlt?
Stig Blomqvist: Es ist ja alles Gewöhnungssache. Das manuelle Schalten gehört für mich als Rallyefahrer dazu, damals war an Schaltwippen noch nicht zu denken. Der e-tron GT quattro ist ein Gran Turismo und damit für längere Strecken gebaut, in der RS-Version dann mit besonders ausgeprägter Fahrdynamik. Das automatische 2-Gang-Getriebe ist in diesem Zusammenhang eine feine Sache. Den Spagat zwischen Komfort und Sport beherrscht das Auto außergewöhnlich gut. Durch die adaptiven Dämpfer und die 3-Kammer-Luftfeder reagiert das Fahrzeug sehr direkt auf die Fahrbahnbeschaffenheit und verringert zusätzlich das Nicken und Wanken des Aufbaus. Und mit knapp 600 PS und 830 Newtonmeter Drehmoment ist mangelnde Dynamik auch kein Thema.
Lucas di Grassi: Oh ja, der Punch der beiden E-Motoren ist gewaltig,im Overboost-Modus sind es 475 Kilowatt oder in deiner Welt, Stig, fast 650 PS. Mit der Launch Control zieht der RS e-tron GT dann nach 400 Metern mit etwa 230 km/h über den Asphalt. Solche Werte schafft der S1 natürlich nicht, aber auch 450 PS, verteilt auf 1.000 Kilogramm Leergewicht, sind auch heute noch extrem brachial. Welche technische Neuerung des RS e-tron GT kommt hier auf der Bergetappe der Rallye San Remo für dich besonders zum Tragen?
Stig Blomqvist: Was ich besonders mag, ist das gezielte Torque Vectoring. Das Heck des RS lässt sich so über Bremseingriffe am kurveninneren Hinterrad agilitätsfördernd eindrehen, und das ist bei dieser Strecke sehr hilfreich. Und die elektronische Differenzialsperre an der Hinterachse verbessert bei durchdrehenden Rädern die Traktion erheblich.
Lucas di Grassi: Das angesprochene Torque Vectoring empfinde ich aus eigener Erfahrung auch als feine Sache. Die Elektro-SUVs e-tron S und e-tron S Sportback haben sogar je drei Elektromotoren an Bord – mit ihnen lassen sich die Vorteile des herkömmlichen Sportdifferenzials an der Hinterachse realisieren. Wenn das Auto schnell in eine Kurve einlenkt, teilt die E-Maschine dem kurvenäußeren Hinterrad ein zusätzliches Moment zu, während das kurveninnere Hinterrad entsprechend abgebremst wird. Aber kommen wir von den technischen Fakten zu den Emotionen: Der Sound des S1 ist eine Wucht, ein unablässiges böses Grollen, dazu das Pfeifen des Turbos! Fehlt dir beim RS e-tron GT diese Emotionalität?
Stig Blomqvist: Ich persönlich werde zum S1 immer einen ganz besonderen emotionalen Bezug haben, den ich zu keinem zweiten Auto aufgebaut habe. Ich wurde mit dem Sport quattro 1984 Weltmeister. Das vergisst man nicht. Neben dem Fahrerlebnis berührt mich der RS e-tron GT auf vielfache Weise. Zuerst hat mich das ästhetische Design fasziniert: das Dach geduckt, die Backen breit, die Überhänge kurz. Als ich den Audi aufgeschlossen habe, begrüßte mich eine Lichtshow. Eine Spielerei, aber sie gibt dem Auto Persönlichkeit. Dann überzeugt die sportliche Sitzposition hinter dem abgeflachtem RS-Lenkrad mit griffigem Lochleder – für diese Strecke übrigens ideal. Man blickt auf die stark ausmodulierten quattro Blister am Vorderwagen und fühlt sich an den Ur-quattro erinnert. Und um auf deine Frage zurückzukommen: Auch der elektronische Sound passt super dazu.
Lucas di Grassi: Audi hat für mich eine ganz eigene Interpretation für einen sportlichen Sound im Elektrozeitalter gefunden. Das gilt gleichermaßen auch für die quattro Technologie, die immer besser und effizienter wird. Stig, fährt der Geist des Sport quattro im RS e-tron GT mit?
Stig Blomqvist: Absolut. Der RS e-tron GT versprüht quattro Feeling durch und durch. Er hat dank seines E-Antriebs eine wahnsinnige Beschleunigung und seine Lenkung ist sportlich-direkt übersetzt bei gleichzeitig hoher Alltagstauglichkeit, anders als beim S1, der doch recht spitz ausgelegt ist. Je nach Fahrprogramm lässt sich der RS e-tron GT sogar mit gezielten Gasstößen stark übersteuernd durch die Kurve fahren. Allgemein ist das Fahrzeug jedoch extrem neutral abgestimmt, mit aktiviertem ESC sowieso. Am Ende ist der RS e-tron GT also die logische Weiterentwicklung des Sport quattro – 40 Jahre, nachdem wir mit dem quattro Antrieb die Rallyewelt aufgemischt haben.
Lucas di Grassi: Das stimmt.Der Sport quattro war der Urknall und legte den Grundstein für Audis Erfolgsserie im Motorsport. Dank seiner Popularität wurden von fast allen Modellen quattro Versionen angeboten. Jedes RS-Modell ist seit jeher serienmäßig mit dem permanenten Allradantrieb ausgestattet. Bist du stolz, Teil dieser Historie zu sein?
Stig Blomqvist: Stolz ist ein großes Wort. Aber ich bin unglaublich dankbar, diese Epoche miterlebt haben zu dürfen. Vier Jahre in einem Team zu fahren, ist, wie in einer großen Familie zu leben. Der Sport quattro S1 war ein Siegerauto und sein Antriebskonzept hat sich als Siegertechnologie etabliert, die heute in der elektrifizierten Variante zum Taktgeber der Zukunft von Audi gereift ist.